"Mein Engel, es ist ok. Du musst nur darüber reden." William sass am Küchentisch und rüherte sich nicht, kein Stück. Seine Mutter hatte sich auf den Stuhl links von ihm gesetzt und schien sich kaum zu trauen ihm näher zu kommen. Dabei wollte sie ihn so gern in den Arm nehmen und ihn trösten. Er würde es nicht zulassen, selbst wenn sie es versuchen würde. "Es ist ok. Bitte geht einfach wieder." meinte er und seine Mutter sah hilflos zu Ben, der sich an die Spüle gelehnt hatte. Seine Mutter verlies tatsächlich schonmal das Haus und Ben blieb noch einen Moment.
"Es ist nicht ok, Will. Das weißt du auch. Dieser Mann-" Doch weiter kam Ben nicht. "Ich will nicht darüber reden. Ich hatte es vergessen und nur weil dir eine Therapie geholfen hat, meinst du jetzt es mir aufzuzwingen." Und danach zog auch Ben sich zurück und verlies das Haus. Will blieb allein zurück und öffnete erstmal eine Flasche Rotwein und trank zwei Gläser davon fast in einem Zug weg. Er wollte das nicht fühlen und die Erinnerungen, die zurück kamen nicht wahrnehmen. Das war gerade alles zu viel für ihn und Kelsey war auch noch nicht wieder zuhause. Er wusste nicht wohin mit sich. Eigentlich wollte er schrein, weinen, die Küche zerlegen, aber er konnte nicht. Er war wie versteinert. Die einzige Bewegung, war die das Glas zu nehmen und weiter zu trinken. Auch wenn er die Erinnerung immer weiter wegschieben wollte, kam sie zurück. Erinnerungen aus seiner Kindheit die er schon längst verdrängt hatte, an einen völlig überforderten Onkel, der zu äußerst grausamen Methoden griff um die Jungs zu bestrafen oder das Bild davon, dass Andrew seine Hand auf Wills Oberschenkel gelegt hatte. Will wünschte, dass seine Familie nicht vorbei gekommen wäre und seine Erinnerung nicht wieder belebt hätten. Es war doch in Ordnung gewesen oder zumindest besser als jetzt. Die Rotweinflasche war nur noch zu einem Viertel gefüllt, als Kelsey nach Hause kam. Will sagte nicht. Er bewegte sich ihr nicht entgegen, er sagte nicht. Er starte einfach nur auf den Tisch vor sich, als Kelsey in die Küche kam. "Meine Mutter war hier. Mit Ben." brachte er heraus, mehr nicht. Eigentlich hatte William ein gutes Verhältnis zu seiner Familie und er sollte glücklich sein, dass sie da gewesen waren. Aber er war es nicht. Er sass hier, als hätte man ihm gesagt, die Welt würde in den nächsten sechs Stunden unter gehen. Jetzt sah man seine erste emotionale Regung, denn eine Träne lief seine Wange hinunter auch wenn er es verhindern wollte und deswegen seine Augen krampfhaft geöffnet halten wollte. Doch es nützte nichts. Ebenso wie seine Stimme sich nun gebrochen anhören würde, würde er noch ein weiteres Wort über die Lippen bringen.
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Es war nicht immer einfach mit William eine Beziehung zu führen und Kelsey wusste, dass diese auf wackligen Beinen stand. William sein Alkoholkonsum war der Hauptpunkt an Streitereien im Hause Chow/Moseley und Kelsey hoffte einfach, dass er endlich die Hilfe, die er brauchte annehmen würde. Klar half sie ihm, dass Ganze zu vertuschen, denn sie liebte ihn und würde alles für ihn tun, aber es fraß sie auf. Sie konnte mit niemanden darüber reden, denn niemand wusste von seinem Problem. Er wollte es totschweigen und sie half ihm auch noch, aber sie brauchte ihn und könnte es nicht ertragen, wenn er sie verlassen würde. Seufzend schloss sie am Nachmittag die Haustür auf und rief ein "Hey Schatz, ich bin zu Hause!" Durchs Haus, bevor sie ihre Schuhe auszog und sich auf Socken auf die Suche nach ihrem Freund machte. Sie fand ihn schließlich in der Küche sitzend, Er saß einfach nur da, mit einer fast leeren Rotweinflasche auf dem Tisch und starrte vor sich hin. Es war gruselig ihn so zu sehen. Sein emotionsloses "Meine Mutter war hier. Mit Ben." Das war nicht der Kerl, der sie heute Morgen noch zur Arbeit gefahren hatte. "Hey, alles wird gut, was ist passiert?" Sie hockte sich vor ihm und griff nach seinen Händen. "Bitte rede mit mir..." rutschte ihr leise und verzweifelt über die Lippen, als sie die Träne sah, die sich aus seinem Augenwinkel stahl und ihm über die Wange rollte. "Will, es ist okay." flüsterte sie leise, bevor sie sich erhob, sich auf seinen Schoß setzte und sein Gesicht mit beiden Händen umfasste. "Was haben deine Mutter und Ben gesagt, dass es dich so dermaßen aus der Bahn wirft, hm?" Kelsey beugte sich vor und lehnte ihre Stirn an seine. "Ich mache mir Sorgen, also rede bitte mit mir!"
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Will wusste selbst nicht genau, was gerade in ihm vorging. Aufeinmal prasselten so viele Dinge auf ihn ein, die er sich selbst nicht wirklich erklären konnte. Es fühlte sich an, als wären es Erinnerungen, doch er konnte selbst nicht einschätzen wie real diese waren. Das Geschehene war offensichtlich so traumatisierend gewesen, dass es so tief in Williams Unterbewusstsein verschwunden war, und er sich selbst nicht mehr daran erinnern konnte - bis jetzt. Ben und seine Mutter hatten diese Erinnerung wieder aufgefrischt und ihn völlig aus der Bahn geworfen. Er sass hier schon eine Weile, immerhin hatte er hier schon eine Weile gesessen bevor Kelsey nach Hause gekommen war. Dennoch hatte er keine Chance gehabt es wirklich zu realisieren, geschweige denn zu verarbeiten - wenn man das überhaupt verarbeiten konnte.
Er wusste einfach nicht was er sagen sollte, als Kelsey ihn ansprach. Immer noch wollte er nicht einen Ton von sich geben, doch er wollte auch Kelsey nicht abweisen. "Ja, es..." versuchte er mit schwacher Stimme zu sagen, aber danach brach der Satz schon ab. Er selbst hatte noch nicht mal eine Vorstellung davon, wie er diesen eigentlich weiter gehen und enden lassen wollte. Er hatte keine Vorstellung davon, wie er Kelsey das alles erklären sollte.
Die Tränen rollten leise über seine Wangen, obwohl William immer noch versuchte es zu verdrängen. Er wollte nicht weinen! Das war sentimentale Scheiße! Die letzten Jahre ging es ihm doch gut. Er war ok! Es war passiert, na und? Es war gut 15 oder 16 Jahre her. Da half es auch nicht, wenn Kelsey sagt es sei ok.
Als wäre das alles nicht schon unangenehm genug, suchte Kelsey nun seine Nähe. Will lies es zu, ohne zu wissen, dass er nun anders darauf reagiert wie noch heute morgen. Sie hatte sich auf seinen Schoß gesetzt und er hatte augenblicklich das Gefühl zu ersticken. Er atmete durch und schloss die Augen, wobei ihm erneut Tränen über die Wangen liefen, um sich zu beruhigen. Kelsey war seine Freundin, seine einzig wahre Liebe und er hatte keinen Grund jetzt beunruhigt zu sein. Dennoch war er es... Ihre Worte drangen nur noch bedingt zu ihm durch und sein Herzschlag ging fast durch die Decke. "Ich kann das nicht!" Er legte seine Hände an die Hüften von Kelsey. So schob es sie sanft von seinem Schoss, bevor er dann aufstand und einmal quer durch die Küche wankte. Er lehnte sich an die Küchenzeile und wischte mit seinen Händen durch sein Gesicht.
"Erinnerst du dich an meinen Onkel Andrew?" fragte er, wobei er sichtlich Probleme dabei hatte den Namen 'Andrew' über die Lippen zu bekommen. Kelsey hatte ihn ein paar Mal zu seinen Lebzeiten auf Familienfesten getroffen. Da war William eigentlich immer gut mit ihm klar gekommen, genauso wie Ben. Und dann hatte Kelsey ihn auch auf Andrews Beerdigung im November begleitet. Dort hatte William getrauert, aber Ben nicht.
"Nach der Beerdigung hat Ben... Er hat sich da an etwas erinnert." William konnte die Tränen mitlerweile gar nicht mehr zurück halten. Er musste weinen. "Tut mir leid, ich wollte nicht weinen." versuchte er sich zu entschuldigen. Seine Augen waren schnell gerötet und die Emotion brach langsam aus ihm heraus. "Wir waren als Kinder so oft bei Andrew und..." Noch immer wusste William einfach nicht was er sagen sollte. Es war als würde ihm etwas die Kehle zu schnüren, aber vor ihm sass der Mensch, den er vermutlich am meisten liebte. Er war es ihr schuldig. Alles was sie für ihn tat, wie sie ihm half. "Was Ben mir gesagt hat ist schrecklich und... ich kann mich jetzt auch erinnern. Aber ich will das nicht! Ich will es einfach nicht!" Er brach entgültig in Tränen aus und rutschte an der Küchenzeile hinunter, so das er nun auf dem Boden sass. Er hatte sein Gesicht in seinen Händen vergraben. Mittlerweile konnte er sogar sagen, was er fühlte - denn jetzt prasselten unendlich viele Gefühle auf ihn ein. Trauer, Wut, Enttäuschung, Schock, Scham... Alle samt eins negativer als das andere.
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Lange saß sie nicht bei ihm, denn er schob sie konsequent von sich runter und die brünette Schauspielerin schluckte. Was hatte ihn so aus der Bahn geworfen? Sie wusste dass es nicht einfach war, bei Gott, dass wusste sie wirklich. Und trotzdem war sie hier, trotzdem legte sie jeden Abend neben ihm ins Bett und blieb bei ihm, weil sie William liebte, doch der Typ der gerade jeder Berührung ihrerseits entging, war nicht der Mann, war nicht ihr Will. "Was ..." Erschrocken beobachtete sie, wie er aufsprang und zum anderen Ende der Küche wankte. War ihm ihre Anwesenheit gerade echt so dermaßen unangenehm? "Bitte Will, rede mit mir... ich... " Ihr traten die Tränen in die Augen. Sie konnte ihn, die Liebe ihres Lebens nicht so vollkommen fertig sehen. Kelsey wollte einerseits auf ihn zugehen und ihn umarmen, aber anderseits hatte sie Angst. Angst vor seiner Abweisung. Und die könnte sie nicht ertragen. Heute nicht und in Zukunft auch nicht. Sie wollte für ihn da sein, wusste aber momentan einfach nicht wie.
Sie schluckte und ließ sich langsam auf de Stuhl fallen, auf dem William gerade noch saß. "Ich ... ja, ich erinnere mich... Viel hatte ich aber nicht mit ihm zu tun..." Was sollte das jetzt? Was hatte sein Onkel damit zu schaffen? "Wir waren doch zusammen auf seiner Beerdigung oder?" Sie kramte in den Untiefen ihres Kopfes herum und erinnerte sich langsam wieder. Will hatte um ihn getrauert, wie man halt um einen lieben Mensch aus der Familie trauerte. "Aber ..." der Rest des Satzes blieb ihr im Hals stecken, als sie sah, dass William anfing zu weinen. "Baby..." So schnell war sie noch nie irgendwo aufgesprungen und mit großen Schritten durchquerte sie die Küche, bevor sie ohne zu zögern ihre Arme um ihn schlang. Es war ihr egal, dass er es wahrscheinlich nicht wollte, doch dann sollte er sie wieder wegschieben. Sie konnte ihn nicht so aufgelöst sehen. "Shht. Es ist okay." Die brünette Schauspielerin strich ihm die Tränen aus dem Gesicht. "Nur bitte, rede mit mir." wisperte sie ihm zu, bevor sie schockiert den Mund aufriss, um ihn dann wieder zu schließen. Es war jetzt aber nicht das, was sie dachte, was er da gerade andeutete oder? Erschrocken sah sie, wie Will langsam zu Boden ging und sich an die Küchenzeile lehnte. Sie kniff kurz die Lippen zusammen, bevor sie sich neben ihm auf den Boden setzte. "Ich bin für dich da, dass weißt du, ja?" wisperte sie, bevor sie nach seiner Hand griff und diese einfach nur festhielt und hoffte, dass er sich ihr öffnen würde.
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Es fiel William unglaublich schwer darüber zu reden. Er hatte schon Probleme damit diese Gedanken oder Erinnerungen in seinem Kopf überhaupt auszuhalten. Sich darüber jetzt auch noch auszutauschen, brachte er einfach nicht fertig. Das Kelsey ihm aufeinmal so nah war, löste in ihm einen Fluchtreflex aus. Für einen Moment hatte er das Gefühl einfach nicht atmen zu können. Als er sich etwas von ihr entfernen konnte, ging es wieder. Es lag nicht an ihr, es lag einfach daran, dass ihm gerade alles etwas zu viel war. Irgendwie ekelte er sich gerade vor sich selbst. Es war ein ganz merkwürdiges Gefühl, als wäre ihm heiß und kalt gleichzeitig. Er rutschte an der Küchenzeile hinunter und blickte zu Kelsey, während er mit ihr sprach. Er versuchte wirklich es ihr zu sagen. Es ihr zu erklären, wieso er so fertig war. Doch dann verlor er einfach die Fassung. Seine Sprache erstarb in seinen Tränen und dennoch wolte er immer weiter sprechen. Er musste es ihr doch sagen. Sie musste es doch verstehen. Doch nun sank er erstmal in ihre Arme und weinte einfach nur. William konnte sich nicht erinnern, dass er sich jemals so schwach und verletzt gefühlt hatte. Sein eigener Zustand widerte ihn fast schon an, dabei fühlte er sich ohnehin schon schlecht genug. Für den Moment kam er einfach in ihren Armen an und versuchte sich ein wenig zu beruhigen, auch wenn es tatsächlich eine Weile dauerte, bis er wirklich wieder dazu in der Lage war etwas in Worte fassen zu können. Als es dann so weit war brachte er zunächst ein "Ich liebe dich." über die Lippen. Er konnte wirklich froh sein Kelsey zu haben, denn selbst in so einem schlimmen Moment schaffte sie es trotzdem irgendwie ihm halt zu gaben. Er war so kaputt, auch weil er gerade schon wieder betrunken war. Er atmete tief durch und wischte sich selbst nochmals die Tränen aus dem Gesicht. "Sorry, ich wollte nicht so... Das muss dir verdammt unangenehm sein." vermutete er. Welche Freundin fand es schon geil, wenn ihr Freund so zusammenbrach? Es war wirklich jämmerlich. Furchtbar. Wie konnte er sich manchmal nur selbst ertragen? "Es sollte egal sein, was passiert ist. Er ist tot. Es ist vorbei. Es ist nicht wichtig." versuchte er sich selbst einzureden. "Ich habe es schonmal vergessen. Ich kann es wieder vergessen." Es hörte sich sehr viel weniger überzeugend an, als es eigentlich klingen sollte. Es war auch nicht wirklich eine Feststellung. Es war mehr eine Hoffnung. Er hatte es gar nicht wissen wollen. Seine Familie hätte es ihm einfach nicht sagen dürfen.